Diskussionen sind beim Thema Corona-Apps nicht erwünscht. Was in den letzten Wochen deutlich zu spüren war, sprach nun der Entwickler des PEPP-PT-Standards, Hans-Christian Boos, in einem Interview mit der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« aus. PEPP-PT soll europaweit die Basis für die digitale Kontaktnachverfolgung sein. IT-Unternehmer Boos unterstützt prinzipiell einen offenen Austausch, aber eben nicht so, wie der in den letzten Tagen rund um sein umstrittenes Projekt lief. »Leider haben einige Leute beschlossen, diese Fragen in die Öffentlichkeit zu tragen«, sagte er der FAZ und meint, all das habe nichts zum Erkenntnisgewinn beigetragen.
Weitere Aussagen von Boos lassen Rückschlüsse auf die Intention des Unternehmers zu, dessen PEPP-PT-Projekt Formen annimmt, die gut zu den Geschäftskonzepten seiner Firma passen. Diese ist im Bereich der künstlichen Intelligenz tätig. Es müssten Risikoanalysen technisch möglich werden, »die sich im Laufe der Zeit durch Machine Learning verfeinern könnten«, meint Boos und ist damit mitten im Hauptgeschäft seiner eigenen Firma. Seine eingeschränkte Diskussionsbereitschaft begründet er indirekt mit Zeitdruck. Eine dezentrale Lösung, die datenschutzkonformer wäre und zuletzt von 300 Wissenschaftler*innen aus 25 Ländern gefordert wurde, benötige vermutlich »zwei Jahre Entwicklungszeit«.
Die Bundesregierung agiert derweil weiterhin undurchsichtig. Der digitalpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Tankred Schipanski (CDU), wird im »Handelsblatt« mit der Aussage zitiert, das Gesundheitsministerium habe sich unter drei möglichen technischen Plattformen für PEPP-PT entschieden.
Doch das relativierte das Ministerium am Donnerstag: Eine Studie zum Einsatz der App sei beim Fraunhofer-Institut beauftragt, aber man behalte natürlich weiterhin auch andere App-Entwicklungen im Blick. Schipanski hingegen meinte: »Wir sind bei der Corona-App auf einem guten Weg« - und kam bei der Opposition nicht gut an. »Das Vorgehen der Bundesregierung ist nicht nur tödlich für die Akzeptanz einer App-Lösung, es zeugt auch von mangelndem Respekt gegenüber dem Parlament«, sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz ebenfalls dem »Handelsblatt«. Auch stünden Fachgremien ohne konkrete Informationen da.
Bislang sind bis zu vier Apps mit Corona-Bezug im Gespräch, wie dem Bundestagsausschuss »Digitale Agenda« am Mittwoch mitgeteilt wurde. Neben der Datenspende-App, die zuletzt dem Chaos-Computer-Club (CCC) mit deutlichen Sicherheitslücken aufgefallen war, soll es eine App zur Kontaktverfolgung (PEPP-PT-Projekt) sowie eine zur Erfassung von Covid-19-Symptomen geben. Eine Quarantäne-App soll vor allem die Gesundheitsämter entlasten. Dort telefonieren Mitarbeiter täglich mit Patienten und erfragen den Stand der Erkrankung. Die in den letzten Wochen immer wieder betonte Freiwilligkeit bei Apps verschwindet zumindest bei Quarantänefällen immer mehr aus der Diskussion. Die technische Umsetzung ist noch nicht konkretisiert, aber internationale Vorbilder finden sich in Polen und Hongkong, wo die Installation von Apps oder verpflichtende Trackingarmbänder verfügt wurden.
Den Gesundheitsämtern versprach Jens Spahn finanzielle Unterstützung bei der Digitalisierung der rund 700 Standorte. Je 150 000 Euro stünden bereit, um Teams zur Kontaktverfolgung einzusetzen. Fünf Mitarbeiter*innen sollten pro 20 000 Einwohner*innen zum Einsatz kommen.
Die vierte Softwarelösung sei ein Register, in dem intensivmedizinische Kapazitäten verwaltet werden. Wer das technisch umsetzen könnte, kristallisiert sich in Hessen heraus. Das umstrittene US-Unternehmen Palantir, das bereits in Großbritannien, Griechenland und den USA in diesem Bereich agiert, bietet dort die Software »Foundry« (englisch für Gießerei) an, die nach Firmenangaben für die Optimierung von Lieferketten konzipiert ist. Palantir trifft wegen seiner engen Beziehungen zu US-Geheimdiensten auf Kritik bei der hessischen Linken. »Zum miserablen Stil von Innenminister Peter Beuth (CDU) gehört es, dass hier möglicherweise erneut geheime Verträge abgeschlossen werden sollen oder sich jedenfalls neue Geschäfte mit Palantir anbahnen«, sagte ihr innenpolitischer Sprecher Herrmann Schaus am Donnerstag und kritisierte, dass die Abgeordneten des hessischen Landtags dies aus der Zeitung erfahren hätten.
Nach Angaben des hessischen Innenministeriums testet man derzeit eine befristete Gratisversion des Programms, mit der die Ausbreitung des Virus verfolgt werden könne. Die Software erfasse auch freie Betten und Beatmungsgeräte sowie die Ausstattung mit Schutzanzügen und Masken. Der Opposition verweigert man die Auskunft, auf welche Daten hessischer Bürger das US-Unternehmen derzeit zugreifen kann.