Seit 15 Jahren erzählen Auslandschweizerinnen und -schweizer in der Rubrik «Die fünfte Schweiz» am Sonntagvormittag auf SRF 1 aus ihrem Alltag. Aus diesem Anlass liegen auf dem Literaturstammtisch Bücher über Auswandererschicksale - Werke von Therese Bichsel, Pedro Lenz und Gabrielle Alioth.
1821 wanderten rund 170 Menschen aus Bern und Neuenburg nach Kanada in die Gegend des heutigen Winnipeg aus. Ein verschuldeter Berner Patrizier hatte sie mit grossen Versprechungen angeworben. Doch statt eines besseren Lebens erwartete sie am Roten Fluss bittere Not. Diese wahre Geschichte erzählt die Schweizer Autorin Therese Bichsel in ihrem Roman «Überleben am Red River». Franziska Hirsbrunner gefällt unter anderem der Reichtum an packenden Details, mit dem das Werk aufwartet.
Der Schweizer Pedro Lenz hat mit «I bi meh aus eine» im Berner Dialekt die wundersame, aber wahre Geschichte des Hochstaplers Peter Wingeier aus dem Emmental aufgeschrieben. Der Schweizer wanderte im 19. Jahrhundert nach Argentinien aus, nahm eine falsche Identität als Arzt an und gründete sein eigenes Dorf «Romang». Wingeier sei zwar nicht sympathisch, findet Markus Gasser. Doch Pedro Lenz zeichne seine Figur dennoch als «liebe Siech» - und erweise sich dadurch einmal mehr als «unverbesserlicher Menschenfreund».
Dass die Schweiz lange Zeit ein Auswanderungsland war, geht gerne vergessen. Die Schweizer Autorin Gabrielle Alioth, die selbst seit 1984 in Irland lebt, erzählt in ihrem Sachbuch «Ausgewandert» Geschichten von Menschen aus sieben Jahrhunderten, welche die Schweiz verliessen und im Ausland das Glück suchten. Felix Münger ist beeindruckt von der Unterschiedlichkeit der Schicksale: Die einen trieb die Leidenschaft in die Fremde, andere die pure wirtschaftliche Not. Und dann gab es Menschen, die glaubten, in der Fremde das Paradies zu finden.
Buchhinweise:
* Gabrielle Alioth. Ausgewandert. Schweizer Auswanderer aus 7 Jahrhunderten. 193 Seiten. Faro, 2014.
* Therese Bichsel. Überleben am Red River, 361 Seiten. Zytglogge, 2018.
* Pedro Lenz. I bi meh aus eine. 75 Seiten. Cosmos, 2013.
Wiederholung der BuchZeichen-Sendung vom 02.01.2024

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Folge vom 09.07.2024Aktuelle Bücherempfehlungen: Neues Glück in der Fremde?
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Folge vom 02.07.2024Aktuelle Buchempfehlungen: David Grann und Cécile TliliDie drei Bücher auf dem heutigen Literaturstammtisch sprechen ganz unterschiedliche Interessen an: eine Abenteuergeschichte für den Rucksack, ein Debüt für den Liegestuhl daheim und eine Familiengeschichte für die Strandtasche. Was für eine Story, und erst noch eine wahre! Noch selten habe er eine derart mitreissende Abenteuergeschichte gelesen wie «Der Untergang der Wager» des US-Amerikaners David Grann, sagt Felix Münger. Der auf akribischer historischer Recherche beruhende Roman rekonstruiert die unglaubliche Geschichte des britischen Kriegsschiffs «Wager». Es strandete 1741 an der Küste Chiles. Die Schiffbrüchigen fanden sich in der Einöde Patagoniens - hungernd und den rauen Launen der Natur ausgeliefert. Meuterei, Krankheit, Tod. Nur wenigen gelang nach Jahren einer Wahnsinnsreise die Rückkehr nach England. Ein heisser Augustabend, zwei reiche Paare aus der gehobenen Pariser Gesellschaft, eine Einladung zum Essen. Klingt doch nett, oder? Aber dieses Diner entwickelt sich zum Desaster. In Cécile Tlilis Romandebüt «Ein Sommerabend» hat niemand Lust auf das Beisammensein unter Freunden. Und nach Aperitif-Häppchen und gespielten Nettigkeiten fallen bei allen vieren die Masken. Das zu beobachten, macht grossen Spass. Ein keckes, gesellschaftskritisches Kammerspiel, das Tim Felchlin in einem Zug durchgelesen hat. «Der Sommer zu Hause» der US-Amerikanerin Ann Patchett sei die perfekte Sommerlektüre, findet Britta Spichiger im heutigen Kurztipp. Die Ich-Erzählerin ist Mutter dreier fast erwachsener Töchter und erzählt ihnen bei der Kirschernte auf der familieneigenen Farm von ihrem Leben, bevor sie heiratete. Es ist eine bewegte Lebensgeschichte, die die Töchter nicht nur staunen lässt, sondern sie auch dazu bewegt, die eigenen Entscheidungen zu überdenken. Ann Patchett erzählt unprätentiös, humorvoll, empathisch – eine unbedingte Leseempfehlung! Buchhinweise: * David Grann. Der Untergang der Wager. Eine Geschichte von Schiffbruch, Mord und Meuterei. Aus dem Englischen von Rudolf Mast. 432 Seiten. C.Bertelsmann, 2024. * Cécile Tlili. Ein Sommerabend. Aus dem Französischen von Norma Cassau. 192 Seiten. Kein & Aber, 2024. * Ann Patchett. Der Sommer zu Hause. Aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer. 400 Seiten. Berlin Verlag, 2024.
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Folge vom 25.06.2024Aktuelle Buchempfehlungen: Marc-Uwe Kling und Heinrich SteinfestSpurensuche und Spannung zeichnen unter anderem die beiden Bücher aus, die heute auf dem Literaturstammtisch liegen. Marc-Uwe Klings «Views» ist ein gesellschaftskritischer Thriller, Heinrich Steinfests «Sprung ins Leere» ein kunsthistorischer Krimi. «Views» so heisst das neuste Buch des deutschen Autors Marc-Uwe Kling. Eine Jugendliche verschwindet spurlos. Dafür taucht ein Video auf allen möglichen sozialen Netzwerken auf und geht viral. Der Inhalt des Videos ist verstörend, denn es zeigt, wie die Jugendliche brutal vergewaltigt wird. Die Berliner Ermittlerin Yasira Saad soll die junge Frau und die Vergewaltiger finden. Jennifer Khakshouri konnte das Buch nicht mehr weglegen: es sei so aktuell und brisant, dass man nur noch staune. Im Roman «Sprung ins Leere» führt Heinrich Steinfest die Leserschaft einmal mehr in seinen Kosmos. Und wie immer ist man konfrontiert mit Dingen, die einem vertraut und merkwürdig zugleich vorkommen. Es geht um die Welt der Kunst, um bekannte Werke von Yves Klein oder Jacob van Ruistal, aber auch um Werke, die nur im Steinfest-Kosmos existieren. Vor allem aber erzählt Steinfest die Geschichte einer spektakulären Suche nach einer verschwundenen Künstlerin, die von Wien nach Japan und wieder zurück nach Wien führt. Grosses Kino. Und beste Literatur, findet Literaturredaktor Michael Luisier, der das Buch am Stammtisch vorstellt. Den heutigen Kurztipp widmet Britta Spichiger dem US-amerikanischen Autor Richard Russo. In seinem neuen Roman «Von guten Eltern» erzählt er – wie schon in früheren Geschichten - von einer Kleinstadt in Upstate New York, von den Menschen dort, die allen politischen und wirtschaftlichen Widerständen zum Trotz für ein gutes Leben kämpfen. Russo nennt die Probleme beim Namen und schreibt doch über universell Menschliches, zeigt voller Empathie aber ohne Kitsch, dass es nie zu spät ist, nochmals neu anzufangen. Buchhinweise: * Marc-Uwe Kling. Views. 272 Seiten. Ullstein, 2024. * Heinrich Steinfest. Sprung ins Leere. 496 Seiten. Piper, 2024. * Richard Russo. Von guten Eltern. Aus dem Englischen von Monika Köpfer. 576 Seiten. DuMont, 2024.