Genossinnen und Genossen, liebe deutsche Linke: Wir müssen reden. Und zwar über die Rolle der deutschen Industriegewerkschaften - allen voran der IG BCE und der IG Metall - im Kampf für globale Klimagerechtigkeit. Ihr wisst es, das Zeitfenster, globales Klimachaos und damit den drohenden »Zusammenbruch der Zivilisation« abzuwenden, wird immer kleiner. Um eine klimagerechte Welt zu erkämpfen, muss vor allem der reiche globale Norden in Vorleistung gehen und in absoluten Zahlen deutlich weniger produzieren. In Deutschland heißt das vor allem: früh aus der Kohle aussteigen, deutlich weniger betrügerische Dreckschleudern (Autos) produzieren.
In den letzten Jahren ist eine Reihe progressiver sozialer Bewegungen entstanden, die diese Kämpfe vorantreiben. Zum Beispiel die Anti-Kohle- und Klimagerechtigkeitsbewegung. Oder die Anti-Auto- und Pro-Verkehrswende-Bewegung. Beide Kämpfe, für den Kohleausstieg und gegen die Autogesellschaft, sind zwar einerseits globale Gerechtigkeitskämpfe. Sie rufen aber andererseits den harten Widerstand genau der Akteure hervor, die in der Geschichte der gesellschaftlichen Linken bisher (mit Ausnahme einer kurzen Zeit nach 1968) üblicherweise mit Fortschritten im Kampf um Gerechtigkeit verbunden wurden: der großen Gewerkschaften, die in diesen Sektoren organisieren.
Erstes Beispiel: Trotz breiter gesellschaftlicher Akzeptanz eines schnellen Kohleausstieg, der die Pariser Klimaziele einhalten würde, lieferte die von der Regierung eingesetzte Kohlekommission einen Vorschlag ab, nachdem eines der reichsten Länder der Welt erst 2038 aus der Braunkohle, dem dreckigsten aller fossilen Brennstoffe, aussteigen würde. Stimmen aus der Kommission selbst, von der Umweltseite, bestätigten hinterher den Eindruck, der sich auf den Straßen und in den Gruben des Rheinlands und der Lausitz schon erhärtet hatte: Der schärfste Widerstand gegen den Kohleausstieg kam nicht vom fossilen Kapital im engeren Sinne, also von Eon, RWE und Vattenfall (später EPH), sondern von den Kolleginnen und Kollegen der IG BCE, angeführt vom brillianten Politstrategen Michael Vassiliadis. Während Eon und RWE ihr mobiles Kapital verschieben und ihr festes abschreiben könn(t)en, lassen sich Arbeiter*innenexistenzen nicht einfach so von Jänschwalde nach Rostock verlagern.
Zweites Beispiel: die coronabedingte Abfuck-, entschuldigung, Abwrackprämie, deren Verhinderung bis vor kurzem im Autoland Deutschland noch sehr unwahrscheinlich erschien. Jedoch waren es Saskia Esken und die neue SPD-Spitze, die das Land überraschten und eine Abwrackprämie für Verbrennungsmotoren verhindern konnten. Um das »nd« zu zitieren: »Selbst die Vertreter der Autoindustrie sprachen von einem guten Kompromiss. Eigentlich waren fast alle zufrieden - nur eine Gruppe kritisierte die Einigung scharf: Betriebsräte aus der Autoindustrie und die IG Metall.«
Das Verhältnis zwischen sozial-ökologischen Transformationsbewegungen einerseits und Industriegewerkschaften andererseits ist also von Spannung, gar von taktischer Feindschaft geprägt. Das aber ist für Linke (egal, ob Bewegungs- oder Parteilinke) keine einfache Situation, waren es doch in der Vergangenheit - zum Beispiel bei den Protesten gegen Hartz IV - oft die großen Gewerkschaften, die an vorderster Front für Gerechtigkeit und Emanzipation gekämpft haben: Wochenende, Krankenvorsorge, Arbeitslosengeld ... All dies gäbe es nicht ohne Gewerkschaften.
Was wiederum bedeutet: Wir müssen reden. Wir müssen die schwierige Debatte darüber beginnen, warum die Industriegewerkschaften in den letzten Jahrzehnten zu jenen gehört haben, die aktiv sozialökologische Transformationen in Schwerindustrieregionen verhindert oder zumindest verzögert haben und wie damit in Zukunft umzugehen ist. Wir müssen darüber reden, warum es in abgehängten früheren Industrieregionen eine so hohe Affinität zu rechten Positionen gibt; ob und wie das zu ändern ist.
Ich bin mir bewusst, dass eine Kolumne eigentlich dazu da ist, einen Standpunkt zu artikulieren - diesmal will ich aber, für mich durchaus ungewöhnlich, einfach eine Frage stellen: Wie ist das Verhältnis zwischen Klimagerechtigkeitsbewegung einerseits und Gewerkschaftsbewegung andererseits? Bei möglichen Antworten gilt wie immer: Lasst hundert Blumen blühen, lasst hundert Schulen miteinander wetteifern. Die Debatte ist eröffnet.

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Folge vom 19.06.2020Wir müssen reden
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Folge vom 18.06.2020Der Krise nicht ausgeliefertViele Menschen erleben gerade eine noch nie dagewesene Zeit der Verunsicherung. Was macht die Coronakrise mit unserer Psyche? Wir Psychiater sehen zurzeit ganz unterschiedliche Ängste: die Angst sich mit dem Virus zu infizieren, gefolgt von der größer werdenden Angst, existenziell nicht mehr über die Runden zu kommen. Diese Ängste werden manchmal besonders groß, weil das Corona-Virus in der Vorstellung etwas sehr Abstraktes ist und es für den Einzelnen auch nicht leicht zu bewerten ist, was es konkret für einen bedeutet. Dann befeuert die Dauerpräsenz des Themas die Angst noch einmal - das kann uns psychisch außerordentlich belasten. Kann uns das depressiv, also krank machen? Grundsätzlich sehe ich, dass die Menschen gestresster sind. Man kann eine Art »emotionale Aktivierung« in der Bevölkerung feststellen. Für diejenigen, die ohnehin leichter verunsicherbar sind oder vielleicht auch schon eine vorbestehende psychische Erkrankung haben, ist die gegenwärtige Situation besonders belastend. Durch den besonderen Stress kann sie auch eine psychische Störung zur Folge haben. Aber Stress macht nicht immer krank… Stress ist etwas, was ganz natürlich zunächst einmal zu unserem Leben gehört. Und auch erst mal nicht schädlich ist. Problematisch für unsere Gesundheit ist der chronische Stress - der Dauerstress. Vor allem, wenn wir das Gefühl haben, ihn nicht kontrollieren zu können. Und das kann im Kontext von Arbeit oder Familie auftreten, genauso aber auch mit der aktuellen Pandemie. Die bedeutet im Moment für jeden Menschen in Deutschland, in Europa und auf der Welt, massive Veränderungen des Alltags, der Routinen und auch der Dinge, die wir so tun, um uns von Stress und Belastungen zu erholen. Das ist eine chronische Stresssituation und deswegen auch eine Situation, die psychisch belastend ist. Gibt es Menschen, die besonders unter der aktuellen Lage leiden? Es gibt Menschen, die vulnerabler sind. Die Gründe können in der eigenen Persönlichkeit liegen: Wer zum Beispiel zu mehr Ängstlichkeit neigt oder die Dinge stets unter Kontrolle behalten muss, der hat es im Moment besonders schwer. Aber auch Armut ist ein Risikofaktor unter größeren Stress zu geraten. Und Frauen sind im Moment belasteter, weil die Organisation der Familie oder das Homeschooling häufiger von ihnen bewerkstelligt wird. Der Spagat zwischen Beruf und Familie ist ohnehin schon schwierig und dass plötzlich alles unter einem Dach stattfindet, wird für manche zu einer enormen Belastung. Insofern ist die Stresslast überhaupt nicht gleich verteilt. Zu Beginn der Krise wurde vielfach von »Social Distancing« gesprochen. Hätten man besser von »Physical Distancing« reden sollen? Ja, ganz eindeutig. Der Begriff »Social Distancing« wurde gleich zu Anfang der Pandemie kritisiert - zu Recht. Gerade jetzt geht es ja darum, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten oder wenn es geht zu intensivieren. Wir sind soziale Wesen und die Nähe zu anderen und soziale Unterstützung und Verbundenheit sind elementare menschliche Bedürfnisse. Vielen wird es im Moment erst schmerzlich klar, wie wichtig diese Verbindungen zwischen uns sind. Bei 90 Prozent der Suizidfälle in Deutschland gehen Erkrankungen wie Depression, Angsterkrankungen oder auch Suchtprobleme voraus. Sehen Sie die Gefahr eines Anstiegs an Suiziden im Zuge der Coronakrise? Das ist etwas, das wir Psychiater mit großer Aufmerksamkeit und auch mit Sorge beobachten. Wir sehen, wie die psychische Belastung in der Bevölkerung wächst und dass Menschen sich schwerertun nach Hilfe zu suchen, als in Normalzeiten. Menschen bleiben eher zuhause, das gilt übrigens nicht nur für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Auch Menschen mit Herzinfarkt und Schlaganfällen bleiben leider häufiger zuhause, wie wir aus den Rettungsstellen wissen. Bei der Depression ist das deswegen besonders gefährlich, weil es eben ein Suizidrisiko gibt. Die Entwicklung lässt sich im Moment noch nicht ganz absehen, aber die Befürchtung gibt es zumindest. Der Rechtsmediziner der Charité Berlin, Michael Tsokos, sprach im RBB von »Corona-Suiziden«. Wie ordnen Sie seine Diagnose »Selbsttötung aus Angst vor dem Leben in Zeiten von Corona« ein? Wir wissen bei diesen acht Suizidfällen nicht, wie die psychische Gesundheitssituation dieser Menschen war. Aber man kann sich theoretisch vorstellen, dass die momentane Krisensituation ein vorher schon gefülltes Fass zum Überlaufen gebracht hat. Dass zu einer psychisch labilen Situation zusätzlicher Stress kam und dann eine Erkrankung ausgebrochen ist, die in diesen Fällen tragischerweise einen Suizid zur Folge hatte. Gerade wenn sich Depression und Angst mischen, ist das problematisch. Welche Maßnahmen zur Suizid-Prävention und zur Unterstützung der seelischen Gesundheit sind nötig? Es ist wichtig ganz deutlich zu machen, dass Hilfestrukturen da sind! Manche Menschen scheuen sich im Moment nach Hilfe zu suchen oder, aus Angst vor Ansteckung, in eine Klinik oder zum Arzt zu gehen. Für so eine Angst besteht aber kein Anlass. Wer sich psychisch belastet fühlt, für den gibt es viele Hilfsangebote im psychiatrischen und psychotherapeutischen Hilfesystem und all diese Türen stehen offen! Dazu gehören Arztpraxen, Rettungsstellen, Kliniken; Krisendienste und Sorgentelefone - all diese Strukturen sind intakt und stehen bereit. Was sind Tipps für diejenigen, die sich psychisch entlasten wollen? Es hilft, sich klar zu machen, dass die aktuelle Situation einfach für Angst und Verunsicherung sorgen kann, dass es also normal ist, Angst zu verspüren. Wer das akzeptiert, schafft schon Distanz zwischen sich selbst und einer überstarken Angst. Wenn man hingegen dauernd versucht, Gefühle zu unterdrücken, werden diese meist noch stärker. Eine wirksame Entlastung kann es außerdem sein, sich mit anderen zu verständigen, über Sorgen auszutauschen und dadurch einen Perspektivwechsel zu erreichen. Es hilft auch sich klar zu machen, dass es sich bei dieser Krise um eine vorübergehende Situation handelt. Wir sind ihr nicht ausgeliefert. Die Coronakrise geht vorbei, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Sollten für den Konsum von Nachrichten auch Hygieneregeln gelten? Das halte ich für wichtig. Wer Angst hat versucht, Kontrolle zu erlangen. Zu diesem Kontrollverhalten gehört es, Nachrichtenportale zu beobachten oder sich - wenn es schlecht läuft - auch bei dubiosen Quellen zu informieren. Und deswegen ist ganz wichtig: Wer merkt, dass er ständig den Drang hat pandemiebezogene Nachrichten zu verfolgen, sollte die Dosis kontrollieren. Sich einmal pro Tag zu informieren und Nachrichten zu checken ist ausreichend. Wäre aus psychologischer Sicht die baldige Rückkehr zur Normalität ratsam? Was ich dieser Tage auch sehr viel erlebe, ist Verunsicherung angesichts der Lockerungen. Manche haben Angst, dass die Lockerungen zu weit oder zu schnell gehen. Zum Beispiel weil die Menschen draußen eben nicht mehr so auf Abstand achten oder weil es betriebsamer wird auf den Straßen. Das empfinden manche als bedrohlich. Insofern ist das auch eine neue Welle von Verunsicherung, die seit einigen Tagen da ist. Sind Menschen misstrauischer geworden? Wenn man andere Menschen als potenzielles Risiko für einen selbst betrachtet und als mögliche Infektionsquelle ansieht, dann sorgt das natürlich auch für ein gewisses Misstrauen. Und Gesichter, die hinter Mund-Nasen-Schutzmasken stecken, eignen sich leider auch nicht dafür, besonders viel Vertrauen hervorzurufen. Gleichzeitig haben die Pandemie und die darauffolgenden Regelungen auch viel Solidarität zwischen den Menschen wachgerufen. Es kommt jetzt darauf an, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Wir müssen uns klar machen, dass wir der Krise nicht als Opfer ausgeliefert sind, sondern, dass jeder Einzelne zu ihrer Lösung beitragen kann. Das machen wir schon alleine, in dem wir uns an die Hygienevorschriften halten. Hilfsangebote: Berliner Krisendienst: 030 39063-10/-20/-30...-90 Telefonseelsorge: 0800/111 0 -111/-222 Muslimisches Seelsorgetelefon: 030 443 509 821
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Folge vom 06.06.2020Wut damals, Wut heuteZwei-, vielleicht dreitausend Menschen blockieren die Christopher Street und die ans »Stonewall Inn« angrenzende Kreuzung zur 7th Avenue. Viele halten selbstgemalte Schilder und Transparente hoch. Sie fordern, der Polizei das Geld zu entziehen. »Fuck NYPD« heißt es schlicht auf anderen oder »Black Lives Matter« (Schwarze Leben zählen). Für eine Demonstration vor der legendären Kneipe im legendären schwulen Stadtviertel New Yorks sind ausgesprochen wenige Regenbogenfarben zu sehen. Die Farbe Schwarz bestimmt die Kleidung. Zum Feiern ist auch niemand zumute, die Stimmung ist ernst. Den wenigen, die keine Maske tragen, wird eine ausgehändigt. Cops sind noch keine zu sehen. Es ist der sechste Tag der Proteste gegen Polizeigewalt in New York City: Ein Dutzend Demonstrationen und Kundgebungen sind über alle fünf Stadtteile geplant. In den beiden Nächten zuvor hatten im Windschatten der Massendemonstrationen Hunderte von Plünderern, darunter gut organisierte Gangs, versucht, Luxusgeschäfte, aber auch das riesige Kaufhaus »Macy’s« leer zu räumen – teilweise mit Erfolg. Inzwischen sind Hunderte von Geschäften in Manhattan mit Sperrholz verbarrikadiert, auch in der Christopher Street im West Village, wo vor 51 Jahren die Cops die Schwulenkneipe »Stonewall Inn« stürmten. Die Aktion löste damals einen Aufstand aus, der fünf Tage und Nächte lang andauerte und als Auftakt für die Befreiungsbewegung für Menschen aller Geschlechter und sexuellen Orientierungen gilt. Das »Stonewall Inn« ist auch an diesem Nachmittag Anziehungspunkt für radikale Proteste. »Pride is a riot!« heißt es in Schwarz auf einem weißen Transparent über dem Eingang, daneben der Hashtag BLM für »Black Lives Matter«. Den Auftakt für ihren Aktionsmonat haben die Betreiber des »Stonewall Inn« in den Dienst des Antirassismus gestellt. Auslöser für die Stonewall-Kundgebung ist der Tod von George Floyd, thematisiert wird an diesem Nachmittag aber auch Gewalt gegen die schwarze Transgendergemeinde. Konkret geht es um das Andenken an die jüngsten Opfer: Nina Pop, eine schwarze Transgender-Frau, und Tony McDade, ein schwarzer Transgender-Mann. Pop war Anfang Mai in Missouri erstochen in einer Wohnung aufgefunden worden. McDade starb Ende Mai in Florida unter ungeklärten Umständen durch den Schuss aus einer Polizeiwaffe. »Say his name«, ruft jemand, und die Menge antwortet »George Floyd, George Floyd, George Floyd«. Auf die Aufforderung »Say her name« folgt »Nina Pop, Nina Pop, Nina Pop«. Und schließlich wieder »Say his name« mit »Tony McDade, Tony McDade, Tony McDade«. Hunderte, die am Rand der Kundgebung stehen, raunen die Namen einfach nur mit. Die Sätze aus den Biografien der Ermordeten, die drüben am »Stonewall Inn« verlesen werden, sind aus der Entfernung nicht zu verstehen. Für Alex Druness ist die Kundgebung das erste Zusammentreffen mit Menschen seit zweieinhalb Monaten. Wegen des Coronavirus hat sich der 24-Jährige erst jetzt aus seinem Kellerraum gewagt. Er habe seinen Job als Kellner verloren, klagt er unter seiner schwarzen Maske, und lebe vom Ersparten. Das reiche noch zwei Monate. Sein Freund sei »hustend, wahrscheinlich mit Coronavirus« Mitte April aus dem gemeinsamen Zimmer ausgezogen und seitdem verschwunden. Er selbst werde sich »irgendwie nach Kalifornien durchschlagen, wenn New York so eine Wüste bleibt«, sagt er. Damit meint er das Risiko, krank zu werden und ohne Krankenversicherung und Arbeit auf der Straße zu landen. »No future hier«, sagt er traurig. In San Francisco habe er Freunde »und wahrscheinlich einen Job, und die Cops sind nicht so eklig wie hier«. Zwischendurch kommt an der 7th Avenue Jubel auf, wenn ein Auto- oder Busfahrer hupend und winkend entlangfährt. Dazu fordern Plakate auf. Menschen mittleren und höheren Alters bleiben solchen Versammlungen offenbar aus Sorge um die eigene Gesundheit fern. Ausnahmslos Jugendliche und junge Erwachsene sind zu sehen. Teena will ihren Nachnamen nicht nennen. Sie sei »zwischen 20 und 30«, grinst sie, »und jeden Tag gegen die Cops auf der Straße«. Die untersetzte Afroamerikanerin hat sich die Haare abrasiert. Auf einen Karton hat sie »All Black Lives Matter« gemalt. Die Gewalt gegen schwarze Transgender-Menschen sei »auch in unserer afroamerikanischen Community ein Tabuthema«, klagt Teena. Sie stamme aus einer sehr religiösen christlichen Familie in Philadelphia. Ihr Lesbischsein habe sie zu Hause nicht leben können. Mit dem Satz »Fuck religion and fuck the cops« verabschiedet sie sich. Die Kundgebung geht zu Ende. Aus ihr wird eine Demonstration. Inzwischen haben sich recht locker stehende Polizisten an einer Straßenseite aufgebaut. Den Verkehr abzuriegeln brauchen sie nicht. Denn die Hochhausschluchten von Manhattan werden seit Mitte März kaum befahren. In einer Seitenstraße steigt eine Gruppe Robocops gemächlich aus einem Mannschaftsbus aus. Die Demonstration wandert Richtung Midtown. »Mal sehen, wie weit wir kommen«, sagt jemand. »No justice, no peace«, lautet ein Ruf, in den Dutzende einstimmen. Und wenn sich wieder Polizisten blicken lassen, dann ertönt: »How do you spell racist – NYPD«. Wie sich die Beamten der größten Polizeibehörde der Welt verhalten werden, wenn der Uhrzeiger Richtung 20 Uhr rückt, wenn die Ausgangssperre einsetzt, ist unklar. Sicher ist: »Whose streets? Our streets!« wird dann den Cops entgegengerufen.