Die große Frage dieser Tage: Soll man gegen Corona eine Impfpflicht einführen oder nicht? Was würde das bringen?
Die Impfquote würde mit Sicherheit erhöht werden. Weil viele Leute, die sich bisher nicht haben impfen lassen, dann sagen: Jetzt ist Klarheit geschaffen, und dann machen wir das eben.
Menschen, die das nicht so sehen, werden irgendeinen Weg finden. So war es schon in der DDR, wo es etliche Pflichtimpfungen gab. Mir ist kein Fall bekannt, dass jemand mit einer Strafe belangt worden ist. Die Durchimpfungsquote war in der DDR um einiges höher als in der BRD: Einige Impfungen erreichten 90 Prozent, in der BRD ungefähr die Hälfte.
Ich kann mich noch an die Schluckimpfung in der Grundschule in der BRD der 70er Jahre erinnern.
Die gab es in der DDR sogar schon eher. Die war gegen Kinderlähmung. Die ist extrem ansteckend und bei Weitem gefährlicher als unser aktueller Virus. Wenn wir es nicht neben logistischen Problemen auch mit einem nennenswerten Anteil an religiös begründeter Impfgegnerschaft in einigen islamischen Ländern zu tun hätten, wären wir dieses Virus vielleicht schon los.
Wie das Pockenvirus.
Ja, das ist das einzige, das durch Impfungen ausgerottet wurde. Das war ja die erste und lange Zeit auch die einzige Impfung, die es gab. Interessanterweise als Pflichtimpfung eingeführt in Bayern schon 1807 und dann 1874 vom Kaiser für das Deutsche Reich. Nach längerer Diskussion im Reichstag, wo auch schon Argumente gegen Impfungen vorgebracht wurden.
Da kommt dann oft die Kritik an der Schulmedizin.
Die versucht seit gut 150 Jahren mit wissenschaftlichen Methoden zu heilen. Genau genommen müsste man die Alternativmedizinkonzepte Schulmedizin nennen, denn die richten sich nicht nach überprüfbaren Erkenntnissen, sondern nach den Ansagen der großen Lehrer, und bilden so Schulen.
Die sogenannte Alternativmedizin war bei den Nazis sehr beliebt.
Julius Streicher, der Herausgeber des Hetzblattes »Stürmer«, behauptete, dass die Impfungen von den Juden als »Rassenschande« in die Welt gesetzt worden seien. Es gab auch einen Impfgegner-Ärztebund, der eine ähnliche These verbreitete.
Auch heute ist es nicht weit von der Idee, den Körper »rein« zu halten, zur Reinhaltung des sogenannten Volkskörpers.
Impfen gilt manchen als eine dubiose Fremdeinwirkung. Allerdings braucht man für solche Vorstellungen keine Nazis, das kriegt man mit vielen anderen Lehren genauso auf die Reihe: etwa mit Anthroposophie oder - wie gerade zu beobachten - bei Calvinisten in den Niederlanden.
Bist du jetzt für oder gegen eine Impfpflicht?
Wenn sie helfen würde, wäre ich dafür. Das bisherige Organisationschaos lässt mich aber zweifeln.

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Dr. Schmidt erklärt die Welt Folgen
Als Universalgelehrter der nd.Redaktion weiß der Wissenschaftsredakteur Dr. Steffen Schmidt auf fast jede Frage eine Antwort – und wenn doch nicht, beantwortet er eben eine andere. Alle Folgen zum Nachhören auf dasnd.de/schmidt
Folgen von Dr. Schmidt erklärt die Welt
111 Folgen
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Folge vom 27.11.2021Impfpflicht - ja oder nein?
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Folge vom 13.11.2021Wie wirkt Cannabis in einem Menschen?Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen FDP, SPD und Grünen wird unter anderem eine Legalisierung von Cannabis diskutiert. Was ist eigentlich Cannabis? Cannabis ist das Fremdwort für die Hanfpflanze. In ihren Blüten und Blättern sind verschiedene Substanzen, darunter die sogenannten Cannabinoide. Das sind Inhaltsstoffe, die unter anderem auf Nervenzellen wirken. Am bekanntesten davon ist wohl das psychisch verändernde Tetrahydrocannabinol (THC). Was passiert mit mir, wenn ich Cannabis konsumiere? In vielen Zellen gibt es die sogenannten Cannabinoid-Rezeptoren. Wenn da eines der Cannabinoide andockt, gibt es eine Reaktion der betroffenen Zelle. Die kann unterschiedlich sein. In Nervenzellen kann Erregungsleitung gedämpft oder verstärkt werden. Zum einen kann der Cannabiskonsum entspannend wirken, zum anderen aber auch eine berauschende Wirkung haben. Das hängt hauptsächlich davon ab, ob mehr THC oder mehr Cannabidiol drin ist. Risikolos ist der Konsum eben nicht. Wegen einiger der Wirkungen wird Cannabis auch in der Medizin verwendet – beispielsweise zur Schmerztherapie und zur Milderung von Nebenwirkungen einer Chemotherapie bei Krebs. Wenn dort Opioide wie Morphin zur Anwendung kommen, kann Cannabis helfen, die Morphindosis zu reduzieren. Morphium kann abhängig machen. Das ist bei Cannabis auch so, oder? Es gibt keine Belege dafür, dass es tatsächlich abhängig macht – zumindest bei medizinischer Anwendung nicht. Aber: Wenn jemand im Endstadium Krebs hat, ist das Risiko einer Sucht auch eher unerheblich. Im Zusammenhang mit Cannabis wird stets von einer sogenannten psychischen Abhängigkeit gesprochen. Was ist das? Na ja, ein Entzug ist eben anders als etwa bei Heroin nicht mit massiven körperlichen Komplikationen verbunden. Was kann man aus Hanf noch machen? Hanf ist eine der ältesten Kulturpflanzen. Hanfseile wurden in der Seefahrt und bei Hinrichtungen eingesetzt. Man kann auch Kleidung oder Papier daraus machen. Die Hanffaser ist sehr stabil. Und die Pflanze ist anspruchslos, was Boden und Klima angeht. Sie wächst praktisch überall. So ziemlich. Hanf ist eine Faser- und Ölpflanze, bei der entscheidend ist, in welche Richtung sie gezüchtet wird. Bei denen für die Haschischproduktion ist der THC-Anteil zu hoch, um daraus Speiseöl zu machen. Ansonsten ist das ein hochwertiges Öl. Welche Erfahrungen hast du mit Hanf gemacht? Cannabis oder Jeanshose? Weder noch. Als ich in dem Alter war, in dem man Cannabis ausprobiert, lebte ich in der DDR. Die einzige gängige Droge war damals Alkohol. Und als es endlich Jeans gab, waren die bei uns aus Baumwolle, manchmal auch noch mit Kunstfaseranteil, was dann eher als uncool galt.
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Folge vom 06.11.2021Was abgeschrieben wird, bleibtImmer wieder ist vom sogenannten Kanon der Literatur die Rede. Braucht man so was überhaupt? Vermutlich nicht, viele Menschen kommen überhaupt ohne Lesen aus, außer von Bedienungsanleitungen. Aber wer sich mit Lesen beschäftigt, für den ist es wahrscheinlich nicht von Schaden, ein bisschen davon gelesen zu haben. Und wer hat damit angefangen? Das Wort stammt von den alten Griechen, meinte da aber ganz allgemein einen Maßstab. Die Römer haben dann einen Kanon der griechischen Philosophen entwickelt. Der macht uns heute noch zu schaffen - Platon, Aristoteles, Epikur usw. Eigentlich mehr wegen all der Texte, die nicht oder kaum überliefert worden sind. Also alles, was vor Sokrates war, scheint offenbar bei den Römern und vielleicht auch schon bei den späten alten Griechen nicht des Kopierens, also des Abschreibens, für würdig befunden worden zu sein. Und was nicht immer wieder abgeschrieben worden ist, kam nicht bis ins Zeitalter des Buchdrucks. Jedenfalls gibt es keinen Ausschuss bei der Uno, der einen Kanon der Weltliteratur festlegt. Was vielleicht auch besser ist. So gibt es eine gewisse Pluralität. Jedes Land hat seinen eigenen Kanon. Aus dem Stegreif: Was wäre für dich denn der deutsche Kanon - die Top Fünf? Ich glaube, um Goethe kommt man nicht drumrum. Goethes »Faust« ist immerhin das einzige Buch, was mir durch den Literaturunterricht in der 11. und 12. Klasse nicht verleidet wurde. Wo Goethe ist, ist auch Schiller, oder? Ja, also Schiller lässt sich wahrscheinlich ebenfalls nicht vermeiden. Mir hat er nur als Dramatiker zugesagt. Seine Balladen gingen mir ziemlich auf den Nerv, muss ich sagen, die waren mir zu heroisch. Wer noch dazugehört, ist Grimmelshausen mit seinem »Simplicissimus«. Auch wenn es da eine in neueres Deutsch übersetzte Fassung braucht. In der damaligen Sprache ist das ziemlich unlesbar. Dann würde ich ins 20. Jahrhundert gehen und Thomas Mann dazu zählen. Und natürlich noch Brecht. Bei mir wären es nur Goethe, Schiller und Brecht, sonst fällt mir niemand ein. Und Böll und Grass, die Nobelpreisträger? Nein, dann schon eher Jelinek. Es gibt ja auch Konjunkturen in der Kanonbildung. Das ist wie in der Popmusik. Die »Rolling Stone«-Liste der besten Gitarristen scheint mir allerdings in Stein gemeißelt. Und auch besonders ungerecht. Es ist ein Unding, dass da Keith Richards vor seinem Vorbild Chuck Berry rangiert. Es gibt ja einen Konzertfilm der Rolling Stones, da sagt Keith in einem Interview, er und Ron Wood seien zwar zwei lausige Gitarristen, aber zusammen besser als die meisten.