Die Gender-Theorie sei eine Ideologie, die den Unterschied in der Natur eines Mannes und einer Frau leugne, eine Gesellschaft ohne geschlechtliche Unterschiede vorsehe und somit die anthropologische Grundlage der Familie eliminiere, so hat der Vatikan verlautbaren lassen.
Für einen großen Teil unserer Gesellschaft jedoch ist Kritik an traditionellen Geschlechterrollen und ein stärkeres Bewusstsein für Geschlechterfragen jenseits des rein biologischen Geschlechts längst Teil ihrer Lebenswirklichkeit. Wenn daher von einer wechselhaften Mode gesprochen und dabei suggeriert wird, geschlechtliche Identitäten seien lediglich Verkleidungen, die man beliebig wechseln könne, verkehrt das die Realität ganz offensichtlich.
Warum tun sich Teile der Kirche so schwer mit einer neuen gesellschaftlichen Sensibilität? Kennt sie nicht vielmehr eine Tradition, die das Menschsein des Menschen betont? Wie passen der Kampf für das binäre System und klare Geschlechtertypen dazu, dass gerade für kirchliche Verantwortungsträger das Ideal der Jungfräulichkeit und feminin anmutende antike Mode in der Liturgie prägend sind?
Prof. Dr. Barbara Vinken, Ph.D., ist Professorin für Allg. Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der LMU München; derzeit Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften an der Kunstuniversität Linz (IFK), Wien. Sie referierte zum Thema "Keuschheit" am 13.6.2022 in der Katholischen Akademie in Bayern.